Es dürfte ja allgemein bekannt sein, dass ich (wie wohl ein Großteil der Menschheit) gelegentlich über Leute nachdenke, mit denen mein Kontakt auf einschneidende Weise abgebrochen ist, man könnte sagen, eines unnatürlichen Todes starb. Spezifisch: solche, die mir wichtig waren und/oder sind. Zum Glück gibt es derer nicht viele. Es sind drei Stück, aber das reicht ja auch schon. Wirklich, das reicht.
Heute ist es Laura. Sie betrat mein Leben zu einem Punkt, als es mir schlechter nicht hätte gehen können, und verließ es zu einem Punkt, an dem, hätte man die beiden Punkte direkt aneinandergehalten, wohl jeder von uns Schwierigkeiten gehabt hätte, sich selbst noch wiederzuerkennen, geschweige denn den jeweils Anderen. Worüber ich konkret gerade nachgedacht habe, ist folgende Analyse meines eigenen Zustandes nach Jahren der Knochenarbeit und Rückfälle:
- Ich bin stolz auf mich.
- Jeglicher Selbsthass ist verschwunden.
- Ich werde gelegentlich abnormal lethargisch, bin von den kleinsten Dingen überfordert, heule ohne Grund, heule mit Grund, komme mit meinen Aufgaben nicht hinterher, habe Angst wie eh und je, Erwartungen nicht entsprechen zu können, prokrastiniere ohne Ende, bin faul, bin unsozial, entziehe mich allem und jedem, sterbe fast vor Weltschmerz, fühle mich „detatched“ und allein, schlafe zu viel, kurzum, ich lasse mich von Depression und einem absurden Mangel an Disziplin in Abgründe ziehen. ABER ICH VERZEIHE MIR DAS.
- Ich habe Erfolg dabei, mich selbst zu verbessern.
- Ich fühle mich wohl mit mir selbst und manchmal sogar mit Anderen.
- Ich habe eine Identität. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wie ich bin. Ich bin froh, so zu sein, wie ich bin.
- Ich kenne die meisten meiner Fehler und arbeite daran. Und ich kann zumeist gut damit leben.
Was das Ganze nun mit Laura zu tun hat: Die Ursache für diese absurden Fortschritte der letzten Jahre liegen genau dort, wo sich die radikalsten Unterschiede zwischen uns herauskristallisiert und verfestigt haben. Wirklich entfalten konnte ich mich erst durch meinen immer ausgeprägteren Hang zum Hippie- und Ökotum, meine Anstrengungen im Bezug auf alles Nachhaltige, das Containern, das Recyclen, das Selbstmachen. Passte ihr nicht. Ich bin zu einem gewissen Punkt überzeugt, dass ihr kommentarloser Kontaktabbruch neben anderen Knackpunkten auch der Tatsache geschuldet war, dass ihr für alles, worauf sich meine Identität aufbaut und was mich zu einem funktionierenden Individuum macht, jegliches Verständnis fehlte. Sie hat eine Entwicklung in einer gänzlich anderen Richtung vollzogen, wobei noch Parallelen vorhanden sind: wir haben beide graduell unseren sozialen Wirkungskreis vergrößert; sie verfügt ebenso wie ich heute über eine Vielzahl Bekanntschaften und guter Freunde, wir wurden versierter in sozialen Situationen und haben uns ein Leben erkämpft, das die Bezeichnung tatsächlich verdient. Nur sie eben anders, hochgradig verkopft, intellektuell, Verstand wie Sprache messerscharf und ebenso präzise. Und was mir bis heute Kopfzerbrechen erweitert, ist die Frage nach der Effizienz ihrer Methode. So sehr es mich verstört hat, als wir noch geredet haben, aus jedem Wort die kaum verhohlene Verachtung herauszuhören – was sie an mir verachtete, hat mich erst befähigt, mich selbst zu akzeptieren und einen Sinn in meinem Dasein zu sehen. Sie machte mir aber nicht den Eindruck, dass es bei ihr ebenso funktionieren würde.
Sie hat mich vor ein paar Monaten mal über Whatsapp angerufen, vermutlich unabsichtlich. Ich war natürlich nicht da – Menschen, die mich tatsächlich erreichen wollen, können von meiner berüchtigten Handy-Überhör-Fähigkeit ein Lied singen. Ich hatte ihre Nummer nicht mehr eingespeichert (neues Handy) und konnte bei meinen Gesichtserkennungstalenten nicht erkennen, ob es wirklich sie war. Das musste mir Wochen später erst Becci bestätigen, die aus irgendeinem Grund, im Gegesatz zu mir, Lauras Whatsapp-Bild mal gesehen hatte. Ein Mensch in einem Wald aus leeren Flaschen und Müll. Wie man sich ihre Wohnung halt ihren Beschreibungen zufolge so vorstellt. Ich hoffe inständig, dass es in ihrem Kopf nicht noch immer genauso aussieht.