Hi, ich bin die Aspi und ich hab‘ Social Anxiety.
Falls du zufällig ebenfalls Social Anxiety hast, wirst du nachvollziehen können, was ich gleich schreibe. Falls nicht, read and learn.
Obschon ich in den letzten paar Jährchen extrem dazugelernt habe und gravierende Meilensteine erreichen konnte, die früher unfassbar weit weg schienen, ist es auch heute noch eine Herausforderung für mich, zum Beispiel einen der Vorträge zu besuchen, die R organisiert. Ich tue das trotzdem gelegentlich, aus den einfachen Gründen, dass 1) mich die Themen interessieren, 2) ich dazulernen möchte und 3) ich die Vortragenden und Organisatoren unterstützen möchte, indem ich durch meine Anwesenheit den Raum (noch) ein kleines bisschen voller mache.
Heute ging es relativ leicht, aber ich hätte weitaus besser sein können.
Herausforderung 1: Ankommen. Ich war mit dem Fahrrad da, fand die Location ziemlich zügig und musste nur den Eingang ausfindig machen. Da ich es hasse, planlos zu wirken (oh nein, alle Anderen sehen, dass ich keine Ahnung habe – Weltuntergang!), zockelte ich gemütlich mit meinem mitgebrachten Energy (ich war hundemüde und wäre vorher beim Arbeiten schon fast eingeschlafen) ums Eck herum und wieder zurück, erspähte unterwegs R’s Fahrrad (was mich schonmal beruhigte) und lachte dem enthusiastischen Italiener entgegen, der neben der benachbarten Pizzeria stand und mich, gute Laune versprühend, auf Italienisch mit irgendwelchen fröhlichen Worten bedachte, während sein Kumpel mit einem Wasserschlauch die Straße vor seinem Lokal berieselte.
Es standen zwei Menschen da herum, die aussahen, als hätten sie dasselbe Ziel wie ich, aber natürlich war das kein Grund, sie anzusprechen, sondern verleitete mich nur dazu, meine ‚Ich hab voll alles im Griff‘-Maske weiter aufzubauschen und voller Zielstrebigkeit auf den einzigen Hauseingang zuzugehen.
Ich hatte Glück. Im Hauseingang stand ein junger Mensch, den ich als denjenigen zu erkennen glaubte, dem R bei der Vortrags-Orga unter die Arme gegriffen hatte. Aus meinem gefaketen Selbstbewusstsein (welches durchaus überzeugend wirkt) heraus war es ganz einfach, ihn anzusprechen und in Erfahrung zu bringen, dass diese Tür mich zum richtigen Ort führen würde. Und wenn ich erst einmal in Schwung bin, läuft auch alles Andere, sodass ich (gerade gegenüber diesem schüchternen Fünfzehnjährigen) mit ein paar lockeren Worten mein Fortbestehen als unerkannter Interaktions-Fail sichern und den Raum betreten konnte. (Sobald ich mich einmal dazu zwinge, eine Interaktion in Angriff zu nehmen, tue ich dies mit einer so epischen schauspielerischen Glanzleistung, dass Jonas vermutlich jetzt denkt, ich sei die selbstsicherste Person unter der Sonne.)
‚Herausforderung‘ sagte ich besonders deshalb, weil ich zu diesen Veranstaltungen allein hingehe. R ist, wie ich mittlerweile weiß, immer äußerst beschäftigt damit, alles Andere zu managen, und sagt höchstens mal kurz hallo. Dann sitze ich da rum und beobachte, wie alle sich unterhalten. Natürlich eröffnet sich mir nicht die Möglichkeit, selbst ein Gespräch mit einem anderen Anwesenden zu führen, denn wenn du dir nichts Schlimmeres vorstellen kannst, als (zumal unbekannten) Leuten in die Augen zu gucken, könntest du genau so gut einen Tarnumhang tragen: niemand spricht dich an. Heute hatte ich mein Buch vergessen, was doof war, denn so musste ich darauf zurückgreifen, stumpf auf dem Handy zu spielen, bis es anfing.
Ich blieb auch nach dem Vortrag noch sitzen, weil ich auf die anschließende Diskussion gespannt war. Es gab eine kurze Pause, in deren Verlauf die Menschen wieder redeten, rausgingen, sich was zu trinken holten etc. Ich saß halt da. Dann wurde diskutiert – oder sowas Ähnliches; ich habe bisher kaum je erlebt, dass nach Vorträgen dieser Art in eine Diskussion mal richtig Schwung gekommen wäre. Dann hatte niemand mehr etwas zu sagen. Außer mir, natürlich, aber da der Raum gerammelt voll war und meine Fähigkeit, in Gruppen einen Ton von mir zu geben, sich bei mehr als vier-fünf-sechs bereits stark erschöpft, behielt ich meinen Senf wie üblich für mich.
Wir waren mehrfach dazu angehalten worden, noch dazubleiben und auf die Leute von der Antifaschistischen Initiative zu warten, aber ich musste nach Hause, da von meinem aktuellen Auftrag noch viel zu viele Seiten übrig sind und ich mir morgen nicht den Stress geben möchte. Außerdem hat mein Welde-Bier (die Deckel dieser Marke sind so konstruiert, dass sie dir Antworten auf Ja-Nein-Fragen geben, die du vor dem Öffnen stellst) mir heute Nachmittag verkündet, ich würde den Auftrag ohne Zeitdruck fertig bekommen, und damit diese Prophezeiung sich erfüllen kann, muss ich halt tatsächlich heute noch was dafür tun. Jedenfalls quetschte ich mich in Richtung Tür; dort stand auch R, dem ich bescheidgab, dass ich nach Hause fahren würde, um zu arbeiten, während zeitgleich eine der Referentinnen ihn rief. Er wünschte mir viel Erfolg und widmete sich Michelle.
Die letzte kleine Herausforderung bestand darin, mich vom Veranstaltungsort zu entfernen: es standen diverse der Leute von drinnen davor, die ich zwar alle nicht kannte, was mir aber dennoch signalisierte, dass man irgendwie anerkennen musste, dass man gerade anderthalb Stunden zusammen im gleichen Raum gehockt hatte. Also verabschiedete ich mich mit einem kurzen Handheben, während ich wegfuhr.
Das sind nun natürlich alles nur ganz kleine Dinge und nichts davon hat mir wirklich Probleme oder extrem unangenehme Gefühle bereitet, aber ich fand es mal interessant, aufzudröseln, wie viel Denkarbeit und/oder Awkwardness in solchen Situationen stecken kann, die zumindest solche Menschen, die weder gesichtsblind noch autistisch veranlagt noch introvertiert noch anderweitig sozial beeinträchtigt sind, tagtäglich als absolute Selbstverständlichkeit erleben – ohne auch nur einen bewussten Gedanken darauf verwenden zu müssen, das eigene Verhalten und das Anderer auszuwerten.
Falls jemanden interessiert, was ich gern zur Diskussion beigetragen hätte: eine der Referentinnen hat über die Sarotti-Debatte gesprochen, die sich darum dreht, ob ein gewisses Mannheimer Kino das ‚Mohren‘-Logo (welches bis 2004 Markenzeichen der Firma war, bis die Farbe des abgebildeten Menschen von schwarz zu golden geändert wurde) durch das aktuelle Logo ersetzen soll – weil der ‚Mohr‘ ja rassistisch ist. Sie war voll und ganz dafür. Ich nicht, aus diversen Gründen. Aber niemand im Raum hat sich meiner Ansicht entsprechend geäußert, weshalb ich das theoretisch schon gern übernommen hätte. Ich find’s echt schade, weil mir meine Meinung tatsächlich wertvoll erscheint und ich mir gewünscht hätte, der Referentin diese mitteilen zu können. Aber nicht in dem Rahmen, nicht mit meiner Gruppenphobie.
Dazu kommt, dass ich es mit dem Argumentieren nicht so habe. Für mich fühlen sich Dinge richtig oder falsch an, und entsprechend handele ich, aber wenn es darum geht, fundiert zu argumentieren, bin ich raus. Die Idee, ob fundiert oder nicht, ist die folgende:
Ein Logo umzufärben bringt im Endeffekt nichts, aber auch gar nichts. Keine einzige Person of Color wird dadurch in der Gesellschaft bessergestellt. Niemand bekommt mehr zu essen, fairere Arbeitsbedingungen, eine Wohnung, mehr Geld. Im besten Fall halten ein paar Schreihälse die Klappe, die sich vorher auf den Schlips getreten fühlten, und suchen sich eventuell mal wieder andere Baustellen, an denen sie tatsächlich Menschen helfen können (das hätte ich nicht unbedingt so gesagt; sie war schon während des Vortrags sehr emotional aufgeladen und das wäre nicht, aber auch gar nicht gut angekommen. Es ist natürlich auch verständlich, dass dem so ist, aber trotzdem ist es eine Tatsache, dass bei niemandem die Klappen schneller runtergehen, der sich angegriffen oder beleidigt fühlt – beides war relativ eindeutig bei ihr der Fall). Das Einzige, was du damit bewirkst, ist, dass dem denkenden Konsumenten die Möglichkeit genommen wird, anhand der Symbolik auf dem Logo festzustellen: okay, das will ich nicht unterstützen. So hat sich schon 2004 Sarotti mit dem Goldwashing des Logos letztendlich einfach nur zu mehr und zufriedeneren Kunden verholfen. Die Unternehmensmentalität und -geschichte (ich habe heute gelernt, dass die Firma dreißig Jahre lang durch einen Nazi und Kriegsverbrecher geleitet wurde) hat sich dadurch ganz sicher nicht geändert – nur sieht man die jetzt nicht mehr so deutlich. Als glühende Verfechterin der absoluten Transparenz (der zugunsten ich nicht nur zu rassistischer Symbolik, sondern auch zu Geschichten wie Datenschutz, Geheimnissen, Privatsphäre eher kontroverse Positionen vertrete) geht mir das wesentlich mehr gegen den Strich als das Ignorieren der Befindlichkeiten, die jemanden dazu bewegen können, so vehement das Verschwinden des schwarzen Logos zu fordern, von Seiten der Kinobetreiber – selbst kombiniert mit der Tatsache, dass diese ziemlich eindeutig nicht das Gleiche im Sinn haben wie ich, indem sie das alte Logo hängenlassen. Der Ansatz sollte, finde ich, einfach darin bestehen, die Konsumenten wissen zu lassen, was hinter dem Logo steckt. Das sollte abschreckend genug wirken. Und wenn nicht, ist das ein Zeichen für die Abgestumpftheit und Ignoranz der konsumierenden Bevölkerung, womit das Entfernen des Logos dann vollends als nutzlos enttarnt wäre.
So, jetzt habe ich es ganz glorreich geschafft, bisher nicht ein Wort zu korrigieren, und eben kam R zur Tür herein. Ooh je.