Schlagwort-Archive: Auszeit

Get it over with.

Standard

Heute ging der Kaffeekonsum mit leichter, aber erträglicher Panik einher.

Zwischendurch war ich auf Zitronensäure-Mission in der Stadt unterwegs. Es war warm, die Busse und Bahnen waren leer und man musste keine Angst vor Kontrolleuren haben. So lob ich mir das Reisen.

Nach der Bäckerei-Abholung am Abend habe ich Wolfgang benachrichtigt, dass Brötchen bereitstehen. Bevor er kam, sah ich jedoch erstmal eine Nachricht von R, ob er morgen oder übermorgen vorbeikommen dürfe. Klar, sagte ich, was es denn geben würde. Er schrieb, er wolle mir die paar Sachen zurückgeben, die er versehentlich von mir mitgenommen hat. Ob mir morgen oder Samstag lieber sei. Morgen, sagte ich, bringen wir’s hinter uns.

Ich weiß, was es gibt, und morgen Abend wird es jeder Teil von mir wissen, auch derjenige, der es bislang trotz untrüglicher Intuition nicht zulassen kann.

Wolfgang war sehr verständnisvoll ob meines latent zerstörten Zustandes, der sich nach ganzen fünf Minuten leider nicht länger verbergen ließ. Er ist anderthalb Stunden geblieben, hat zugehört und abgelenkt und sogar vier Brötchen mitgenommen. Seine Agenda ist eher auf Vorratsvernichtung ausgerichtet – wie ihm dann auffiel, brauchte er eigentlich gar keine Brötchen.

Er war gestern bei R, der ihm gegenüber augenscheinlich keinen Ton darüber hat verlauten lassen, dass er vorhaben könnte, mich zeitnah abzusägen. Vielleicht hat er diese Entscheidung ja heute spontan gefällt. Aber er hat generell nicht über das Thema gesprochen. Warum wundert mich das nicht.

Pünktlich um 18.30 werde ich mir morgen jedenfalls etwas von dem schon obsolet geglaubten Trimipramin hinter die Binde kippen, um das Drama nicht unnötig dramatischer zu machen. Und dann genau das tun, was ich angekündigt habe: es hinter mich bringen. Und R, wenn er dann zum voraussichtlich letzten Mal seinen Weg aus der Wohnung antritt, eine Tüte Brötchen mitgeben, denn für mich allein ist so ein gelber Sack voll einfach nicht zu schaffen.

Rückwärtstag

Standard

Ich habe Becci den kleinen Horrorladen gezeigt und dabei wieder einmal das falsche Ende erwischt.

Semmelknödel haben wir gemacht und mit einer Sauce aus Pilzen, einem Rest Bechamelsauce und Kräuterfrischkäse gegessen.

Auf der Terrasse habe ich wieder ein bisschen gerupft und gesät.

Die aktuelle Doku-Reihe unserer Wahl ist Dope. Meiner Gewohnheit gemäß schauen wir zu jeder meiner Mahlzeiten eine Folge. (Becci reicht eine Mahlzeit am Tag; die Frau läuft auf Luft, ich sag’s dir. Könnte man Autos bauen, die so wenig fressen wie Becci, wäre die Welt besser dran.)

Das Ergebnis unserer gestrigen Einkochaktion stand fertig angerichtet auf dem Küchen-Counter, als ich von der Therapeutin nach Hause kam. Becci hatte die Gläser mit Seitan und Tomatensauce aus dem Automaten gefischt und abgetrocknet.

Und zu guter Letzt: die Therapeutin war euphorisch über das Ausmaß meiner Besserung, als ich heute Früh meinen Bericht abgab: deutlicher Fortschritt im Vergleich zur letzten Woche und vor allem zu denen davor, Medis wirken tadellos, das Gröbste scheint überwunden. Ich bin für mein eigenes Wohlbefinden (oder zumindest meinen Umgang mit den Dingen) verantwortlich und habe diese Verantwortung in der Vergangenheit zu erheblichen Teilen auf R abgewälzt, der sie weder haben wollte noch angenommen hat noch hätte übernehmen müssen.

Sie war sichtlich erleichtert – es wäre mir ja wirklich sehr schlecht gegangen, wie sie gleich mehrmals anmerkte. (I know. I was there.)

Jetzt müsse es darum gehen, nicht länger den Gedanken, ich sei ihm nicht wichtig genug, mich tyrannisieren zu lassen, sondern zu einer Haltung zu gelangen, die mir die Gewissheit zu verinnerlichen erlaubt, dass es sein Problem ist, mich zu verlieren. Auf eine Art weiß ich das schon. Nur bin ich (bisher) nicht in der Lage, das eine Statement das andere aufheben zu lassen.

Daran muss dann wohl gearbeitet werden. Oder ich gebe mir die Zeit, es von allein einsickern zu lassen.

Paranoia, Panik, Produktivität

Standard

Das war ja knapp gestern. Wäre ich nicht zwischendurch aufs Klo gegangen, wäre es mir wahrscheinlich komplett entfallen, mir mal Gedanken über die Uhrzeit zu machen.

Mike kam gegen neun Uhr und blieb bis halb eins. Und kam zehn Minuten später wieder, weil er sich im Busfahrplan verlesen hatte, sodass ich alle in dieser Zeit getroffenen Vorkehrungen zum Schlafengehen abbrach oder rückgängig machte, um eine weitere gute halbe Stunde mit Mike im Wohnzimmer zu sitzen.

Es war anstrengend, weil ich müde war, aber ansonsten wirklich okay.

Becci ist nicht gekommen. Da sie sich für den Vormittag angekündigt hatte, nutzte ich die Zeit nach dem Aufstehen für Erledigungen von Staubsaugen bis hin zu meiner allerersten selbst ausgeführten Grundreinigung des Katzenklos, welches immer R’s Domäne gewesen war.

Während ich zuerst noch froh war, all diese Geschichten in Ruhe hinter mich bringen zu können, fing ich später dann doch an, mir Gedanken über Beccis Verbleib zu machen. Meine den momentanen Umständen geschuldet unverhältnismäßig ausgeprägte Verlustangst bewog mich zunächst zu der Befürchtung, sie könnte sauer auf mich sein, weil ich am Abend zuvor auf ihre liebe und ausführliche Nachricht, in der sie sich erkundigte, was sie alles mitbringen sollte und ob sie mir (wie zwischendurch angedacht) riesige Vorräte an Essen kochen sollte, um mein Überleben zu sichern, aufgrund von Mikes Anwesenheit nur ganz knapp geantwortet hatte – obgleich so eine Reaktion wirklich das Aller- allerletzte ist, was Becci in den Sinn käme.

Ein paar Stunden, eine ungesehene Nachricht und einen nicht entgegengenommenen Anruf später ging ich dazu über, mich zu sorgen, sie könnte mit dem Auto irgendwo auf der Strecke verunglückt sein. Um mir nicht weiter unnötig den Kopf zu zerbrechen, ging ich und fabrizierte aus zwei Rollen Fertighefeteig einen blitzschnellen Zimt-Zucker-Zupfkuchen, der bis jetzt noch unangetastet im Ofen verweilt. Das liegt vor allem daran, dass um halb fünf tatsächlich Becci anrief, die soeben aufgewacht war und sich aus dem Bett gequält hatte, um ihr Ladekabel zu organisieren und mir zu berichten, dass sie letzte Nacht von teuflischen Ohrenschmerzen heimgesucht wurde, die noch immer andauerten und sie den gesamten Tag lang außer Gefecht gesetzt hatten. (Sie begann ihren Bericht mit „Ich bin der neue Basti!“.)

Sie schaut, ob sie morgen fahrtüchtig ist. Bis dahin wartet auch der Kuchen auf sie; nur wenn es morgen auch nichts wird, kann ich für nichts mehr garantieren.

Der Vollständigkeit halber sollte ich anmerken, dass die Panik beim Aufwachen in den letzten Tagen deutlich weniger wurde. Ich war schon bald der Annahme, aus dem Gröbsten raus zu sein, bis das Elend vorhin in Form einer Nachricht von Fredi, die in der Signal-Gruppe zu ihrer Einweihungsparty einlud, erneut zuschlug. Wolfgang hat begeistert zugesagt. R wird da sein. Er hat in die Gruppe geschrieben, über Pläne und Uhrzeiten, von denen ich nichts weiß. Das Ausmaß an Schmerz, den es mir bereitete, das zu verfolgen, und die Spirale, die mich dabei aufsaugte, hat mir mehr als deutlich gemacht, dass ich nicht hingehen kann. So viel Schmerz.

Das wird noch richtig lustig, ich sag’s dir.

Prepare for either.

Standard

Marketa kam eben den Ausdruck abholen und teilte mir bei der Gelegenheit mit, dass sie gestern Abend mit R telefoniert hat. Er wird demzufolge heute nicht herkommen und sein Perso und restlicher Kruscht verbleiben vorerst in meiner Gewalt.

Aus dem Gespräch scheinen sich keine nennenswerten neuen Informationen ergeben zu haben. Sie hat wohl gefragt, ob er schon ahnt, was er letztendlich möchte; er weiß es nicht. Ich solle mich auf beide Szenarien gleichermaßen vorbereiten. Weggehen und ein neues Studium anfangen sei eine großartige Idee. Ebenso diese Auszeit. Er wisse es wirklich nicht. Er würde aber darüber nachdenken und es würde voraussichtlich nicht sehr lange dauern, bis er zu einem Ergebnis kommt. Ich sei ihm sehr wichtig; er wolle definitiv das Beste für mich. Er sei jedenfalls nicht so klinisch gefühlssteril, wie ich es wahrgenommen hatte.

Ich weiß nicht genau, was sie mit dieser Unterhaltung bezweckt hatte, aber mir hat das Ergebnis nichts gebracht außer einem weiteren Anflug desselben furchtbaren Gefühls, das ich sowieso schon habe.

No tienes que decirlo, no vas a volver, te conozco bien.

Wieder.

Als er manchmal sagte, ich würde ihn besser kennen als er sich selbst, so hatte er damit Recht. Vielleicht weiß ich es deshalb.

Monodialoge, Ungewissheiten und Haarfett aus Rücksicht

Standard

Mitten in der Nacht davon aufgewacht, dass ich laut zu R sagte: „Das Tragische ist: Das Leid, das du hervorrufst, willst du nicht sehen.“

Was für ein Traum das gewesen sein muss. Ein Glück kann ich mich nicht dran erinnern.

Ein soeben im wachen Zustand geführter Gedankendialog brachte dagegen eine hilfreichere Erkenntnis zutage: „Wenn du mich so sehr liebst, wie du immer sagtest, habe ich nichts zu befürchten. Und wenn nicht, habe ich nichts zu verlieren.“

Er hat sich noch immer nicht bezüglich heute Abend gemeldet. Vielleicht fürchtet er sich so sehr davor, mich zu kontaktieren. Vielleicht hält er es auch einfach nicht für nötig, mir früher als in der letzten Sekunde bescheidzugeben. Vielleicht hatte er auch von vornherein vor, Marketa zu versetzen, und verlässt sich darauf, dass Wolfgang ihm irgendwann seinen Perso bringt. Das wird nur nicht passieren, weil ich Wolfgang darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass R heute selbst vorbeikommt, um sein Zeug zu holen.

Man wird sehen. Jedenfalls wäre es wünschenswert, dass ich das gerade Festgestellte im Hinterkopf behalte, um in beiden Fällen die Ruhe zu bewahren.

Nun muss ich duschen und mich anziehen, da mich Marketa gebeten hat, etwas für sie auszudrucken, und ich ihr in diesem Zustand nicht unter die Augen treten kann. Und das will schon was heißen, weil es Marketa nun wirklich egaler nicht sein könnte, wie man aussieht. Einen Minimalanspruch an mich selbst habe ich dennoch, und dem bin ich gestern bereits nicht mehr gerecht geworden. Meine Rettung gestern war das abscheuliche Regenwetter, das es fast unmöglich machte, einen Unterschied zwischen fettigen und verregneten Haaren festzustellen – ich habe extra weder Regenschirm noch Mütze mit auf den Weg zum Notar genommen.

Dass ich schon wieder so lange nicht geduscht habe, lag diesmal weniger als sonst an mangelnder Willenskraft, sondern vielmehr an der grenzenlosen Inkompatibilität meines Tagesrhythmus mit dem meiner Mutter, die gegen halb sechs Uhr aufzuwachen pflegt und sich entsprechend teilweise zu Zeiten ins Bett begibt, zu denen ich noch Stunden nicht daran denken könnte. Als ich Montag also gedachte, mich abends einer dringend nötigen Körperpflegeprozedur zu unterziehen, übersah ich dabei die Tatsache, dass mir die üblicherweise hierfür verwendeten zwanzig Minuten vor dem Zubettgehen nicht zu Verfügung stehen würden, sofern ich nicht beabsichtigte, meine ohnehin schon infolge des (wenn auch eigenhändig verursachten) Dramas des Tages angeschlagene Mutter durch spätabendliche Lärmbelästigung weiter gegen mich aufzubringen.

Wie dem auch sei, nun habe ich keine Ausrede mehr. Dem Ebay-Menschen habe ich gerade schon im Schlafanzug sein Ahornblatt überreicht; er wird der letzte Mensch diese Woche gewesen sein, der die heruntergekommenste Version von mir zu Gesicht bekam.

Sure thing, I’ll be alright.

Standard

Es läuft soweit. Mamas Drill-Kur (sie ging vorhin mit den Worten „Morgen kümmern wir uns ums Badezimmer“ schlafen) hält mich auf Trab und bislang haben wir es geschafft, uns nicht zu zerfleischen. Was nicht einfach ist, da sich unsere grundverschiedenen Denkweisen und Angewohnheiten gegenseitig mehr als genug Angriffsfläche bieten. Aber bisher schaffen wir es.

Trotzdem ist es immens schwierig, ohne die erprobten Coping-Strategien (mainly Verdrängung durch Schlaf, Handyspiele und Serien) so einen Tag zu überstehen. Aktiv sein, Dinge tun, funktionieren, das ist mir auf Dauer noch gar nicht gegeben. Panik, Müdigkeit und eine generelle Unfähigkeit, die von gefühlt stündlich zunehmender Resignation meinerseits geprägte R-Situation davon abzuhalten, sich in mein Tagesgeschehen einzuschleichen, sind Faktoren, die nicht einfach weggewischt werden können.

Wenn sich mir nicht in Bälde ein Anlass auftut, von meiner Hoffnungslosigkeit abzurücken, wird R demnächst in meiner Gegenwart keine andere Rolle mehr spielen als die eines fehlgeschlagenen Versuchs.

Aber das ist in Ordnung. Dann werde ich noch einmal eine Weile leiden, aber schlimmer, als es schon war, kann es nicht mehr werden. Vielleicht trifft es mich nochmal kurz genauso schlimm, aber das wird zeitlich begrenzt sein. Wozu das Ganze so lange aufschieben? Wir wissen alle, was kommt. Er war mit der Taube in der Hand nicht zufrieden. Lieber lässt er sie für die Option fallen, die Spatzen auf dem Dach zu jagen.

Oh, es tut weh. Es tut weh. Ich lese Watzlawicks wunderbares Wie wirklich ist die Wirklichkeit?, jeden Abend ein Stück, wie eine Bibel (nur halt wissenschaftlich fundiert) ist das für mich. Und dennoch kann ich in diesem Zusammenhang nicht anders, als meine Realität als gegeben wahrzunehmen, denn sooft ich sie auch hinterfrage, es ereignet sich nichts, das mich glauben macht, ich läge eventuell falsch.

Sicher, dafür ist Marketa da, wenn schon meine eigene Mittwoch voraussichtlich stattfindende Begegnung mit R nur ein weiteres Mal meine Schwarzmalerperspektive bestätigen wird. Selektiv? I do not think so. Sollte mich meine Intuition an dieser Stelle (erstmals) trügen, so wäre ich nicht nur unheimlich froh drum, sondern könnte, ohne lange zu fackeln, ihre Fehlbarkeit anerkennen und fortan vermutlich mit einer völlig anderen Sicht auf die Dinge durch das Leben zockeln.

Oh, das wäre was.

Geht alles, wenn’s denn sein muss.

Standard

Heute habe ich es ohne Beta-Blocker geschafft. Es war nicht schön, aber ich habe überlebt und bin nach ein paar Stunden derwischmäßigen Rotierens im Haushalt mittlerweile fast vollständig panikfrei.

Ich habe wirklich eine Menge geschafft. Beide Katzen versorgt, Kühlschrank entsaftet und grob gereinigt, gefegt, gesaugt, die Tüte mit Flüssigbonbons geleert, die seit Jahr und Tag auf den Flurboden leckte, eine Wäsche in die Maschine geschmissen, Essenstüten ausgeräumt, das Essen gewaschen und im Kühlschrank verstaut, Spülbecken gesäubert, Spülmaschine angeworfen, etwas aufgeräumt… doch, wirklich, eine Menge.

Somit steht Mamas Besuch nichts mehr im Wege. Und wenn ich einen Bus früher nehme, um sie abzuholen, kann ich vorher sogar noch Pfand wegbringen. Das wäre doch echt mal eine Maßnahme.

Whey, ich bin ja richtig lebenstauglich.

Und das, obwohl die Medis mich hundemüde machen und gestörte R-relatede Träume sowie schmerzhafte R-relatede Gedanken mich am laufenden Bande heimsuchen.

Letzten Endes schaffe ich mit den Medis, mit einem auf so unerwartete Weise rettenden Umfeld und mit aller Kraft, die ich nur aufbringen kann, woran ich vor einem knappen Jahrzehnt so elendiglich gescheitert bin: klarkommen.

Marketa und R treffen sich vielleicht am Mittwoch. Nur gut, dass ich eben Marketa nochmal geschrieben habe, um sie zu bitten, bestimmte Dinge, die wir gestern beredet hatten, mit ihm nicht anzusprechen – auf diese Weise habe ich im Vorfeld davon erfahren und kann mich mental darauf vorbereiten, dass er vorbeikommt und (ein weiteres Mal) seine restlichen Sachen mitnimmt.

Ugh, jetzt muss ich aber aufhören, darüber nachzudenken. Das ist ja entsetzlich. Am besten zocke ich jetzt noch eine Stunde, um mich abzulenken, und fahre dann in die Stadt.

Machen wir das doch.

The neighbor who cares

Standard

Marketa ist ein Engel. Mal davon abgesehen, dass sie mich zu hundert Prozent mit ihrer Erkältung angesteckt hat, während wir zusammen an der Übersetzung ihres Testaments gearbeitet haben, oder alternativ während sie mich gedrückt hat, aber das war es absolut wert. Selbst wenn es das Corona-Virus sein sollte und ich übermorgen daran zugrunde gehe.

Sie möchte allen Ernstes mit R sprechen. Zwar konnte ich sie davon abbringen, ihm sagen zu wollen, dass sie sich Sorgen um mich macht, weil der Wartezustand mir nicht unbedingt gut tut (das, wie ich ihr dann erklärt habe, dürfte eh nichts bringen, weil er meinen absoluten Schlimmstzustand am eigenen Leibe erfahren und sich einen Dreck darum geschert hat), aber ihr Unverständnis seiner (Bisher-noch-nicht-) Entscheidung gegenüber ist so immens, dass sie einfach wissen möchte, was in seinem Kopf vorgeht.

Selten hat eine so simple Kombination an Wörtern – „Do you want me to talk to him?“ – eine so umfassende Bandbreite an Gefühlen bei mir hervorgerufen. Ungläubige Dankbarkeit, dass sie das tun würde. Hoffnungslosigkeit, weil es nichts bringen wird. Unsagbare Erleichterung, dass mir geholfen wird. Angst, dass es ihn überfordern und alles noch schlimmer machen könnte. Hoffnung, dass ich danach mehr weiß als vorher, und sei es nur, ob er sich denn schonmal einen Moment genommen hat, darüber nachzudenken. Kaltes Entsetzen im Angesicht der nicht geringen Wahrscheinlichkeit, dass mir die Antworten nicht gefallen könnten, die ich erhalte.

Nun, da ich weiß, dass dieses Gespräch stattfinden wird, bin ich um jeden Tag froh, den es sich hinauszögert. Insbesondere weil R ein langsamer Denker ist und mit jedem verstrichenen Tag mehr Gelegenheit bekommt, sich von der Situation ein Bild zu machen. Wenn er sich von Marketa (die, so zumindest ist mein Eindruck, von der Agilität und allgemeinen Drahtung ihres Denkens her eher in meiner Ecke angesiedelt ist) überrumpelt vorkommt, ist niemandem geholfen.

Außerdem hat er bisher nicht einmal mit Wolfgang gesprochen. Zumindest hat dieser noch nichts Gegenteiliges hören lassen.

Verdammt. Ich verstehe einfach nicht, wie das gehen soll – alles mit sich selbst ausmachen. Wo soll man denn seine Perspektive checken, wenn man immer nur sein eigenes Feedback anhört?

Ich bin wahnsinnig müde. Es wird Zeit, den Kätzchen ihr Essen aufzutischen bzw. aufzutauen, damit ich in zwei Stunden das Zeitliche segnen kann. Morgen wird anstrengend, denn natürlich habe ich bisher noch rein gar nichts geputzt. Und dann möchte Mama auch noch von der Flixbushaltestelle abgeholt werden. Das sind 40 Minuten weniger Zeit zum Saubermachen.

Naja. Immerhin habe ich, wie gesagt, nicht völlig die Kontrolle über den Haushalt verloren, sonst würde mir noch ein ganz anderes Spektakel blühen.

Nothing at all

Standard

Mike ist nicht gekommen, weil er sich erkältet hat. Da freut man sich einmal im Leben, dass man sich mit Mike trifft, und dann sagt er ab.

Immerhin besitzt Mike den Anstand, Verabredungen abzusagen. Von Basti werde ich vermutlich wieder ein halbes Jahr nichts hören, nachdem er – oh Wunder – nach unserem Gespräch letzten Dienstag weder wie angekündigt weiter von seinem Fahrschul-Tablet aus mit mir Kontakt aufgenommen hat noch – welch Überraschung – am Sonntag wie überlegt zu mir kam. Ohne einen Ton von sich zu geben. Ich hatte schon Recht damit, ihn aus dem Fenster schmeißen zu wollen. Was nützt einem ein Freund, der es nicht für nötig hält, in bittersten Notlagen einem a) zur Seite zu stehen oder zumindest b) abzusagen.

Naja. Auf diese Weise musste ich heute zumindest nicht duschen oder staubsaugen. Dafür habe ich bis Sonntag die Verantwortung für die Nachbarskatze und muss also tatsächlich nachher noch die Wohnung verlassen, um die Gute zu füttern.

Die Heizungen wurden heute abgelesen. Ich hatte natürlich vollkommen verdrängt, dass bereits der 5. ist, und war entsprechend erleichtert, dass ich die Wohnung nicht ganz und gar hatte verkommen lassen, sodass ich mich für den Zustand meines Zuhauses nicht übermäßig schämen musste und dem Ablesemenschen außer der Schale mit Canna und Zieringwer, die im kleinen Zimmer überwintert, nichts weiter im Weg stand.

Wirklich. Ein Glück habe ich es relativ aufgeräumt gehalten. Es sieht nicht schlimmer aus als üblich, eher im Gegenteil. Nur der Boden ist halt schon kritisch. Bevor Mama kommt, sauge ich.

R hat sich heute Früh gemeldet, ob sein Perso noch in meinem Kopierer liegt. Das war tatsächlich der Fall. Er hat sich Mühe gegeben und die Nachricht mit „Hallo, hoffe, dir geht’s gut soweit.“ begonnen. Vermutlich als direkte Konsequenz meiner vorsorglichen Bitte, in etwaigen schriftlichen Nachrichten nicht ganz so kalt zu sein, um mein sowieso übermäßig ausgeprägtes Gefühl des Egalseins nicht mehr als nötig zu verstärken. Klar ist das nun beileibe nicht die herzlichste Nachricht, die ich je erhalten habe, aber ich muss anerkennen, dass er es – wider seine Natur – zumindest versucht.

Ich habe ihm mitgeteilt, dass es mir tatsächlich besser geht; er schrieb „Cool, freut mich.“

Das Traurige ist, dass dies seiner Vorstellung von ’nicht kalt‘ entspricht.

Wir sind einfach kein Stück kompatibel.

Er leidet einfach kein bisschen unter dieser Trennung.

Er braucht mich nicht, so überhaupt nicht, entgegen allem, was er zuvor dachte und sagte. Und, während das erstmal gar nicht schlimm ist, das Gravierende: er vermisst mich nicht. Ich will nicht gebraucht werden, ich will gewollt werden. Aber nein, er hat es einfach abgestellt. Es ist gar nichts mehr übrig.

Würde er nur einfach zu diesem Ergebnis kommen und mich ein für allemal absägen, dann wäre es endlich vorbei. Ich bin nicht stark genug, um es für ihn zu tun.

Vielleicht weiß er es schon und möchte sich nur eine Zeitlang vergewissern. Das wäre in Ordnung, das würde ich auch so machen. Vielleicht dauert es nicht mehr lange. Ich hoffe, es dauert nicht mehr lange.

(Ya voy a buscar qué hacer conmigo)

Standard

Ich bin ruhig. Ich weine nicht mehr, solange ich nicht darüber rede. Ich bringe die Konzentration dafür auf, mir Serien anzuschauen, und kann abends sogar die ein oder andere Seite lesen. Ich versorge die Katze und mich selbst mit regelmäßigen Mahlzeiten. Großartige Menschen um mich herum haben mich wissen lassen, dass ich nicht alleine bin. Die Medis wirken (und die Müdigkeit sowie die gelegentlich auftretenden dumpfen Kopfschmerzen, die sie mir verursachen, sind dafür ein zu vernachlässigender Preis).

Mike kommt morgen zu mir. Bis dahin plane ich geduscht zu haben, die Wohnung soll gesaugt und das Katzenklo gereinigt sein. Nicht übel, wenn ich das alles schaffe.

Freitag gehe ich hoch zu Marketa. Sie hat mich wieder einmal mit einem Übersetzungs-Schrägstrich-Dolmetsch-Job betraut. Ich soll sie und Mark am Dienstag zum Notar begleiten und die Vorlesung ihres Testaments simultandolmetschen – nur gut, dass ich das Dokument vorher schon bekomme. Das können wir bei der Gelegenheit durchgehen. Ich bin (wieder einmal) zutiefst gerührt in Angesicht des Vertrauens, das sie mir entgegenbringen.

Am Samstag kommt schon Mama und bleibt bis Dienstag. Dann muss ich nur bis Ende nächster Woche überleben, wenn Becci an der Reihe ist, mich mit ihrem Besuch zu beehren. Aber irgendwann wollte ja auch Undine sich noch auf ein Teechen zu mir gesellen. Das wird machbar.

Und auch das Für-mich-selbst-leben sollte ich irgendwann erlernen. Dass das in meinem bisherigen Dasein nie so gut hingehauen hat, muss ja nicht bedeuten, dass ich es nicht doch noch schaffen kann. Was für ein Meilenstein das wäre, um sowohl allein als auch in Beziehungen um so Vieles zufriedener sein zu können.

Die Panik, mit der ich Tag für Tag aufwache, zeigt, dass ich bis dahin noch einen langen Weg vor mir habe.

Ich wünschte, es wäre einfach vorüber. Zu 95 Prozent bin ich mir so oder so sicher, wie dieses Desaster enden wird. Nur kann ich es mir nicht eingestehen, bis er es mir nicht selbst verkündet. Diese Ungerechtigkeit. Warum kann er es nicht selbst schon wissen. Warum fällt mir die undankbare Aufgabe zu, mich Stück für Stück für Stück aus diesem Abgrund zu kämpfen, um am Ende erneut hineinzufallen – alles, weil er sich selbst nicht gut genug kennt.

Oder ist das nur der Selbstschutz-Pessimismus, der mich vor falscher Hoffnung bewahren möchte?

Wie soll ich das noch durchblicken? Jede Selbstreflektion hat ihre Grenzen; gegen das Unbewusste ist sie machtlos.

Ich muss aufhören zu denken. Das tut weh und stört meine Abendruhe. Morgen Früh um sieben wird es von alleine wieder zu rotieren anfangen.