Ich wachte auf und war völlig allein auf der Welt. So ist es momentan. Erstmals gelingt es mir dieses Jahr jedoch, im Angesicht dieser als Tatsache verkleideten Wahrnehmungsstörung nicht unmittelbar zu verzweifeln. Das Konzept des von äußeren Reflektoren unabhängigen Selbstwertes hat sich mir zu erschließen begonnen. Ein langer Weg liegt vor mir, aber zumindest habe ich nun eine Vorstellung davon, wie mein Ziel aussieht.
Alas, ich stehe ganz am Anfang. Aber es reicht, um mir zu sagen: „Es kommt doch gar nicht darauf an, wen du hast. Sondern darauf, was du tust und wer du bist.“ So geschehen heute Morgen. Ein unfassbarer Schritt im Vergleich zu einem Mindset, das wenige Monate zuvor eine solche Erkenntnis nicht zugelassen hätte. Es ist diese Errungenschaft, die es mir erlaubt, momentweise aus allen Abandonment Issues aufzutauchen, mich umzusehen und einmal in aller Ruhe durchzuatmen.
Es schwankt. Ich schwanke. Die reine Verzweiflung hat ihren Auftritt zumeist unmittelbar vor dem Einschlafen. Ich liege herm und zerbreche mir den Kopf über Dinge, die ich nicht verstehen kann, weil es nichts zu verstehen gibt. Das ist das Schlimmste. Die Dinge, die einfach keinen Sinn ergeben, egal, wie man sie dreht und wendet. Die letzten Wochen war es R’s merkwürdige Reaktion auf meinen leichtsinnigerweise initiierten Kontakt. Es passte einfach nicht. Von Sekunde null an war sein Umgang mit sowohl der Trennung als auch mir als Person schlichtweg verstörend. Es wurde von mir erwartet, Dingen auf eine locker-fluffige Art zu begegnen, die ich unter den herrschenden Umständen nicht liefern konnte. Als ein halbes Jahr später, in einem dieser Höhenflugsmomente, in denen man sich einbildet, so viel weiter schon gekommen zu sein, als es tatsächlich der Fall ist, ich schließlich die Fähigkeit und kurzzeitig auch den Willen zum Locker-fluffig-sein in mir fand, erntete dies eine Reaktion, die allem widersprach, was er zuvor nicht nur mir abverlangt, sondern auch zur Genüge selbst kommuniziert hatte: Misstrauen und die Bemerkung „Klare Ansagen mag ich trotzdem.“.
Bitte was? Zu keinem Zeitpunkt die Bereitschaft aufbringen, sich mit den Dingen, und sei es noch so oberflächlich, gemeinsam auseinanderzusetzen, mir mehr als deutlich zu verstehen zu geben, dass ich von jetzt auf gleich jegliche Gefühle abzustellen, auf Smalltalk umzusteigen und alles Weitere mit mir selbst auszumachen habe – das volle Ausmaß seiner Unberührtheit in der Behauptung offenbarend, ein Fortbestehen unseres Kontaktes auf freundschaftlicher Basis sei von seiner Seite gewünscht und kein Problem – aber eine „Ansage“ fordern, sobald ich das verlangte Niveau der Nonchalance nach unendlichem Leid und unvorstellbaren Anstrengungen erreiche?
Right. Maybe not. Ich kam der Forderung nicht nach und spielte den Ball zurück – „Dann mach mal eine, ich komm grad nicht so recht hinterher.“. Zumal ich in dem Moment ‚Tatortreiniger‘ guckend bei Andi auf dem Sofa saß und keinen Nerv hatte, mich tiefergehend auf borderline-narzisstische Machtspiele einzulassen. Eine Antwort erhielt ich nicht.
Neulich dann – ich weiß nicht, was in mich gefahren war, vermute aber, dass es mit Kaffee zu tun hatte – dachte ich mir, okay, ein Mal probieren wir’s noch. Die Obendrüber-Nachbarn hatten vor Kurzem ihren emblematischen Festnetztelefon-Klingelton geändert, und da das gedämpfte Gedudel seit jeher zum Geräuschinventar dieser Wohnung gezählt hatte und ich (das wird dich jetzt überraschen) ein sentimentaler Depp bin, hatte es mich seit Tagen in den Fingern gejuckt, ihm das mitzuteilen. Einfach weil. Also tat ich es.
Das erneute Ausbleiben einer Reaktion seinerseits gab mir zu verstehen, dass bei allem Fluff sein Interesse an Kontakt anscheinend nicht mehr bestand, was mich wiederum (wider jeden Sinn, da ich mir ja eigentlich selbst 99 Prozent der Zeit sicher bin, ohne den Kontakt besser dran zu sein) einfach durch die schiere Unverständlichkeit (wie kommt man von „Sei locker-fluffig, dann können wir befreundet sein“ zu „Du bist locker-fluffig, also reagiere ich lieber gar nicht“?) absolut mitnahm.
Eine knappe Woche später erhielt ich vorhin die Nachricht, Signal sei vermutlich nicht das richtige Medium, um das Thema zu diskutieren, ohne dass es falsch rüberkäme.
Jetzt verstehe ich zwar gar nichts mehr (was es zu diskutieren geben soll – was überhaupt das Thema ist – was ihn dazu veranlasst, sich auf genau die Metaebene zu begeben, von der ich mich so bemüht habe wegzukommen), aber das macht nichts. Ich habe ihm geantwortet, dass er damit Recht haben könnte (was er gesehen, aber nicht mit einer Antwort bedacht hat), und nun wäre es in Ordnung, wenn von ihm nie wieder etwas käme. Das ist ein Ausgang, mit dem ich leben kann. Kein Kopfzerbrechen mehr, kein unmögliches Puzzle. Alle Widersprüche beseitigt. Ich werde wieder besser einschlafen können.
Ein weiterer Beweis, dass die Indifferenz der Menschen mir gegenüber weniger ausgeprägt ist, als es meine Wahrnehmung mir vermittelt: Basti antwortete vorhin auf meine Nachfrage; es geht ihm besser und er organisierte gerade einen Umzugswagen. Natürlich wäre es schön gewesen, hätte er von allein Bescheid gesagt (und auch jetzt wäre es doch zum Beispiel cool, mich einfach mal wissen zu lassen, für wann denn der Umzugswagen nun organisiert ist), aber letztendlich kann ich davon ausgehen, dass er mich nicht im Regen stehen lässt.
Selbst wenn, so liegt es an mir, mich ins Trockene zu bringen.